Nasen, Schleier und ProtestPerserinnen finden ihren Weg zur Selbstbestimmung Januar 2008 Spitzen, Perlen schwarz und blau, Pailletten gold und silbern. Der schmückenden Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Schließlich bilden die funkelnden Preziosen an den Stoffrändern die Einrahmung vieler muslimischer Frauengesichter, nein Antlitze, denn das Gesicht der Iranerin ist die einzige nicht bedeckte Körperfläche. von Irmgard Berner 
 Newsha Tavakolian, Photographie, Cicero Galerie Berlin (2007) Was einer Not gleichkommt, macht die iranische Frau sich zu Nutzen, zum Vorteil. Erstaunen mag den Unkundigen, dass auf manchen dieser weiblichen Nasenrücken Pflaster kleben, die Haut drum herum gerötet ist oder sogar bläulich gefärbt. Frisch operiert. Kleine Stupsnasen sind ein Schönheitsideal. Davon sind iranische Nasen aber meist weit entfernt. Charakteristisch für ihre Gesichtsvorsprünge sind die bisweilen ausladende Größe, Krümmung und unwillkommene Dominanz in einem ansonsten zarten Antlitz. Damit muss Frau aber nicht mehr leben, gibt es doch den plastischen Chirurgen. Und nach der Operation trägt sie das Pflaster in Würde. Schönheit als Widerstand Was aber vordergründig wie aus reiner Eitelkeit erwachsene Selbstbeschneidung anmutet, hat auch tiefere Beweggründe: die des Protestes. Wenn schon das Gesicht der einzig akzeptierte nicht bedeckte, weibliche Körperteil ist, dann soll er auch nicht mit Reizen geizen. Bottox in die Lippen gespritzt, Wangenknochen hoch gesetzt, Nasen in zierlichem Schwung gebogen und verschmälert. Roter Lippenstift auf die geblähten Lippen, mit lip-liner die Konturen nachgemalt. Schwarzer Kajal auf die Augenlider – die persische Prinzessin mit tiefdunklen Mandelaugen ist an Schönheit nicht mehr zu übertreffen. Es verleiht ihr Selbstbewusstsein und Würde – und unterstreicht ihr selbst bestimmtes Handeln.
Der 26jährige Fotojournalistin Newsha Tavakolian (* 1981) liegt viel daran, die Situation von Frauen im „Middle East“ darzustellen. Dieses Thema formt einen Brennpunkt ihrer fotografischen Tätigkeit. Auf ihren Fotos sind Frauen im alltäglichen Leben zu sehen, in den Straßen, in den modernen Einkaufszentren, bei öffentlichen Feiern oder bei dem Besuch von staatlichen Einrichtungen. Sie begann 2002 international zu arbeiten: über den Irak, Libanon, Syrien, Saudi Arabien und Pakistan. Ihre dokumentarischen Fotos wirken auf den ersten Blick sehr zufällig und natürlich, als würde man im Vorbeigehen einen flüchtigen Blick auf eine alltägliche Szene aus dem Leben im Iran – besonders in der Hauptstadt Teheran – werfen. Tavakolian inszeniert nicht, interpretiert und urteilt nicht. Der Betrachter bildet sich selbst eine eigene Meinung. Die überdimensionalen Bilder der Märtyrer aus dem achtjährigen Krieg gegen den Irak gehören genau so dem Alltag an, wie die übertrieben geschminkten jungen Frauen der Mittel- und Oberschicht. In ihren Fotos spiegelt Tavakolian das Paradox der heutigen iranischen Gesellschaft: die Gleichzeitigkeit und das Zusammenleben von Tradition und Moderne. Ihre Fotos waren und sind eine zuverlässige Quelle für die Zeitschriften wie Time, New York Times, Stern, Le Figaro und viele andere europäische Zeitungen und Zeitschriften.
Für Hamila Vakili (* 1979) bilden Innen- und der Außenwelt die zwei Ebenen ihrer fotografischen Darstellung. Auf Mauern plakatiert sich die Fotografin selbst als kleines Mädchen, Jugendliche und als junge Frau mit Kopftuch. Die Bildcollagen bestehen aus Kopien ihrer Pässe, wodurch sie ihre eigene Identität öffentlich preisgegibt und zur Diskussion stellt. Wie mit einem Blick in die Scherben eines zerbrochenen Spiegels sind ihre verhüllten Beine und teilweise nackten Füße in die Fotos montiert. Unterschiedlich aufgebaute Mauern beherrschen und dominieren die Aufnahmen und geben ihnen einerseits eine formale Bildstruktur und stehen anderer-seits für die herrschende politische Atmo-sphäre im Iran. Eines der Fotografien zeigt den gesprühten Schriftzug „Teheran“ auf den Steinen einer Mauer. Die Mauern selbst jedoch erscheinen im Bild nicht als stabile und unumstößliche Hindernisse, denn die Steine sind häufig nur locker aufeinandergestapelt. Vorhandene Löcher und Risse wur-den in den Mauerstrukturen nur notdürftig ausgebessert und lassen Spielräume und vielfältige Durchblicke zu. photos Newsha Tavakolian: Irmgard Berner / nurart.org photos courtesy to Cicero Galerie Berlin, exhibition "Made in Teheran", January 2008
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